Keine anrüchige Eidverweigerung

Es waren religiöse Gründe, die es Mayr unmöglich machten, den Eid auf die SS abzulegen. Religiöse Gründe verboten ihm aber nicht, den Soldateneid auf die Wehrmacht abzulegen, da nach beachtlicher Auffassung jeder faktisch die Hoheit ausübende Staat einen solchen Eid verlangen kann. Bei solchen Diensteiden gilt aber nach allgemeiner katholischer Sittenlehre der Vorbehalt, dass der Eid nur insofern bindet, als nicht Leistungen verlangt werden, die mit den Gesetzen Gottes und der Kirche unvereinbar sind. 

Dr. Josef Kögl, Generalvikar des deutschen Anteils der Erzdiözese Trient, in der Tagezeitung "Dolomiten" vom 24. Februar 1959 

Keine politische Angelegenheit

Josef Mayr-Nusser war gewiss, wie die meisten seiner mit ihm nach Konitz eingezogenen Kameraden kein Nationalsozialist. Seine Einberufung zu der SS war eine offenkundige Verletzung der Menschenrechte und des Völkerrechtes. Er war mit gleichgesinnten Kameraden - manche aus ihnen vermuteten Absicht dahinter - gegen seinen Willen zu einer Parteimiliz gesteckt worden, deren letzter Sinn und Zweck es war, der nationalsozialistischen heidnischen Weltanschauung zum Siege zu verhelfen, wenn diese Tendenz auch in den Zeiten vor Kriegsende nicht mehr so hervortrat. Die Eidverweigerung auf die SS war also kein Verbrechen, sondern ein Recht. Obwohl der Kompaniechef sich verwundert zeigte, dass man ihm nicht hundertprozentige Nationalsozialisten geschickt hatte, muss er das wohl gewusst haben. So kam es zwar während des Exerzierens am gleichen Tage zu Wutausbrüchen und Drohungen mit dem Erschießen, aber erst abends zur Verhaftung Mayrs. Um sie zu begründen, musste Mayr ein politisches Motiv untergestellt werden. Und siehe, wie einst für Andreas Hofer und für Peter Mayr, so fand sich auch für ihn ein Angeber. Einer in der Kompanie sagte jetzt auf einmal aus, Mayr hätte vor Wochen die Äußerung getan, der Krieg sei doch schon verloren oder ähnlich. Diese Äußerung wurde von anderen einvernommenen Zeugen nicht bestätigt Desungeachtet wurde Anklage auf Wehrmachtzersetzung erhoben. Um vielleicht noch weitere Beweise für „Wehrmachtzersetzung“ zu erlangen, falls andere Südtiroler dem Beispiel Mayrs folgten, als von ihm beeinflusst, ließ der Kompaniechef spät abends die Kompanie antreten und forderte tage darauf alle auf, vorzutreten, die den Eid nicht leisten könnten oder wollten. Es trat niemand vor. Trotzdem wurde Mayr nach Danzig in das Untersuchungsgefängnis der SS wegen „Wehrmachtzersetzung“ eingeliefert. Hätte er den Eid geleistet, wäre diese unbegründete und, wenn schon, seid einem Monat fällige Anklage nicht erhoben worden! Das vor einiger Zeit von interessierter Seite herumgebotene Gerücht, der Fall Mayr sei nur eine politische, nicht aber eine religiöse Sache gewesen, erweist sich so als eine Verleumdung seines Andenkens.

Die Russen rückten heran. Mayr sollte mit einem Strafgefangenentransport nach Dachau gebracht werden. In Erlangen blieb der Transport länger stehen. Dort starb am 24. Februar 1945 Josef Mayr Nusser im Strafgefangenenwaggon. Der Sezierungsbefund des Pathologischen Institutes der Universität Erlangen bezeichnete als Hauptleiden und Todesursache: Hungerödem. 

Dr. Josef Kögl, Generalvikar des deutschen Anteils der Erzdiözese Trient, in der Tagezeitung "Dolomiten" vom 24. Februar 1959 

Eine Torheit?

Hätte das so kommen müssen? Oberflächlich gesehen mag es als eine Torheit erscheinen, dass Mayr nicht auch den Eid geleistet hat wie seine Kameraden. Tatsächlich kann diesen Männern, wenn ihr Gewissen ihnen den Eid nicht eindeutig verbot, kein Vorwurf eines gottwidrigen Verhaltens gemacht werden. In Wirklichkeit haben viele von ihnen keinen gültigen Eid abgelegt: denn zu einem Eid gehört wesentlich die Absicht, den allwissenden und wahrhaftigen Gott zum Zeugen anzurufen. Deshalb ist ein Meineid eine sehr schwere Sünde gegen Gott. Diese Absicht hat gefehlt. Sie betrachteten den Eid nur als ein unfreiwilliges „Muss“ oder als eine leere Zeremonie. Ihr Eid war nur ein Scheineid. Andere wieder durchschauten nicht das Antichristentum des NS und die Gefährlichkeit ihrer Bindung mit ihm durch die SS. Wieder andere machten beim Schwören vielleicht den Vorbehalt, lieber das Leben zu verlieren, als einen Befehl auszuführen, der gegen Gottes Gebote ist.

Mayr-Nusser hat die Sache anders angesehen. Als religiös durchgebildeter Mann, hauptsächlich mit Hilfe des späteren Schulamtsleiters Josef Ferrari, wusste er, dass auch ein durch Gewalt oder schwere Furcht erzwungener ernstlich abgelegter Eid verpflichtet (wie es im Kirchenrecht ausdrücklich festgelegt ist) und dass es die Höhe des Frevels gegen Gott ist, Ihn zum Zeugen anzurufen, dass man verspricht, auch Verbrechen zu begehen, wenn sie anbefohlen werden. Er wusste, dass ein unerlaubter, Eid von einem Katholiken verweigert werden muss. Dass aber ein mit vollem Bewusstsein der sittlichen und religiösen Tragweite auf die SS abgelegter Eid unerlaubt war, wird kein gläubiger Katholik in Abrede stellen können. 

Dr. Josef Kögl, Generalvikar des deutschen Anteils der Erzdiözese Trient, in der Tagezeitung "Dolomiten" vom 24. Februar 1959 

„Zeuge sein“

Diese Entscheidung fasste er nicht aus einer vorgefassten Meinung, nicht aus einem Fanatismus oder einer Nervosität heraus. Sie war die Frucht eines langsamen, ruhigen Ringens mit sich selbst, wie aus seinen Briefen und Äußerungen hervorgeht.

Er hing mit ganzer Seele an Frau und Kind und Heimat und es nagte, wie er am 27. September aus Konitz berichtete, am schwersten an seinem Herzen, durch sein Bekenntnis im entscheidenden Moment vielleicht auch seine Familie in zeitliches Unglück zu stürzen. „Dieses Bekennenmüssen“, schrieb er, „wird sicher kommen, es ist unausbleiblich, denn zwei Welten stoßen aufeinander, zu deutlich haben sich Vorgesetzte als entschiedene Verneiner und Hasser dessen gezeigt, was uns Katholiken heilig und unantastbar ist“ – und erklärt dann „lieber sein Leben zu verlieren als den Weg der Pflicht zu verlassen“.

In Konitz ging es für Mayr um dieses Zeuge-Sein. Nicht sosehr seine Stellung zum Eid als vielmehr die bezeugende Bekenntnispflicht liefert den Schlüssel zum Verständnis der Größe Josef Mayrs. 

Dr. Josef Kögl, Generalvikar des deutschen Anteils der Erzdiözese Trient, in der Tagezeitung "Dolomiten" vom 24. Februar 1959 

 

Vorbildlicher Mut

Wenn Josef Mayr, der ehemalige Führer der Katholischen Jugend, der Apostel des Zeuge sein Müssens bei seiner klaren Einsicht, offenkundigen Christusfeinden im Ernst oder zum Schein geschworen hätte, alles zu tun, was sie wollten, dann hätte er gegen sein Gewissen gehandelt, wäre der ihm offenkundig von oben zugedachten Berufung, Bekenner zu sein, untreu geworden und hätte den Glauben verleugnet. 

Dr. Josef Kögl, Generalvikar des deutschen Anteils der Erzdiözese Trient, in der Tagezeitung "Dolomiten" vom 24. Februar 1959 

 

Wanderausstellung

Es gibt zwei identische Ausstellungen mit 10 Rollups, die über das Leben und die Aktualität von Josef Mayr-Nusser informieren.

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